Gott leidet mit. Gott ist uns im Leiden nahe. Das war die Kernaussage im letzten Kapitel. Doch die Bibel macht uns deutlich: Gott hat auch „dunkle Seiten“. Im Hiob-Buch wird erzählt: In seinem Pakt mit dem Satan lässt Gott es zu, dass Hiob leidet. Der Prophet Amos pointiert: „Ist ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tut?“ (Amos 3.6) Und Psalm 90,3 weiß, dass Gott die Menschen sterben lässt. Die Bibel bietet uns also eine Vielzahl von unterschiedlichen Deutungen an. Sie sollen uns helfen, mit „unerklärlichen“ Situationen umzugehen, ohne in ideologisch-theologische Kurzschlüsse zu verfallen.
Straft uns Gott für unsere Schuld? Das Ja als Antwort ist bei Katastrophen schnell bei der Hand. Die Schuldfrage ist gar nicht so abwegig. Immerhin heißt es in Exodus 34,6-7: Gott ist einerseits barmherzig, gnädig und geduldig mit uns, vergibt uns unsere Sünden. Doch er lässt niemand ungestraft, sondern sucht die Schuld der Väter heim bis in die vierte Generation. Mit anderen Worten: Wir müssen vor Gott die Konsequenzen tragen für unser Versagen; dort, wo wir falsch und ungerecht gehandelt und entschieden haben. Doch Gottes Ziel ist nicht unsere Vernichtung. Gott mutet uns zu, sich bewusst zu machen, was wir tun, was nach Gottes Geboten und nach gesellschaftlichen Wertmaßstäben verkehrt läuft. Gott ermutigt uns, Konsequenzen zu ziehen. In der traditionellen theologischen Begrifflichkeit heißt dies: Buße tun. Da ist etwas dran.
Das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ der evangelischen Kirchen und die völlige Neuausrichtung der Politik mit dem Grundgesetz und der parlamentarischen Demokratie nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges waren entscheidende Weichenstellungen, die uns bis heute Frieden und Wohlstand bringen.
Die Covid-19 Pandemie und die Entschleunigung durch den Lockdown ist nicht nur eine Katastrophe. Sie schenkt uns auch Zeit und Gelegenheit, über uns selbst, über die Welt und über unser Verhalten nachzudenken. Und es gibt wahrlich genügend andere langfristige Baustellen, die wir zu wenig ernst nehmen: die Veränderung des Klimas und ihre Folgen für uns; die Gefahren, dass wichtige Werte unseres Zusammenlebens und die grundlegenden Werte der Demokratie von verschiedenen Gruppen infrage gestellt, missachtet oder verhöhnt werden.
Gott kann aus dem Bösesten Gutes entstehen lassen

Dieser überraschende Glaubenssatz stammt von dem Theologen Dietrich Bonhoeffer, der in seinen letzten Lebensjahren durch die Hölle der Nazi-Diktatur gehen musste. Doch er fügt hinzu: „Dazu braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.“ Auch in schlimmen Pandemiezeiten ist es wichtig, dass wir die Augen offen halten für die Möglichkeiten und Einsichten, die sich aus den Folgen der Pandemie ergeben.
In Nordindien ging durch den wochenlangen Stopp der Fabriken mit ihren rauchenden Schloten und durch den eingeschränkten Straßenverkehr der CO2 Ausstoß und der permanente Smog des Winters so sehr zurück, dass wir uns in Delhi über erträgliche Luft und den klaren Himmel freuten. In den Nordprovinzen war seit Jahrzehnten wieder das Himalaya Massiv zu sehen.
In Deutschland wurde das Kochen in den Familien wieder entdeckt. Die Bioprodukte erleben einen Boom und Menschen merken, dass weniger mehr sein kann. Nachhaltigkeit wird zum Wert für eine gute Zukunft. Durch viel Kreativität wurde das Eingeschlossen Sein der Menschen durch Balkonsingen überbrückt. Statt der Präsenzgottesdienste entdeckten viele Gemeinden die ungeahnten Möglichkeiten der digitalen Feiern als Streaming Angebot oder zum Abrufen auf YouTube und erreichten dadurch ganz neue Besucherschichten. Zoom-Konferenzen sind auf Dauer zwar anstrengend, doch haben z. B. wir Auslandsgeistliche uns auf diese Weise viel öfter gesehen und Projekte gemeinsam entwickelt. Ein Heer von Wissenschaftlern arbeitet seit einem Jahr mit Hochdruck an der Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19. Und inzwischen sehen wir bereits den Erfolg. Ausgehend vom Satz Bonhoeffers sage ich: Selbst aus dem Schlimmsten kann Gott etwas Gutes entstehen lassen, wenn wir ihm vertrauen und das Rechte tun.
(Wird fortgesetzt: Im letzten Kapitel geht es um die Macht.)
Hallo Wolfgang, habe alles brav gelesen. Schöne Sachen schreibst Du. Aus Bösem kann auch Gutes entstehen. Stimmt sicherlich. Aus Sturzkampfbombern wurden auch Verkehrsflugzeuge. Gibt es also das Böse, damit Gutes entsteht? Macht Gott das Böse, damit Gutes entsteht? Ist Gott böse und nicht lieb? Deine und des Bonhoeffers Antwort ist salomonisch: Er ist beides. Also ist er nichts, hat keinen Charakter.
Ein rhetorischer Fallstrick ist: Sobald man über „Gott“ redet, sobald man den Begriff in den Mund nimmt, setzt man voraus, dass es ihn gäbe. So wie es das „Nichts“ gibt, wenn wir „Nichts“ sagen. Damit haben schon Millionen Diskutanten Millionen Diskutanten eingefangen. Auch Goethe ist drauf reingefallen. Lies bitte mal das Gedicht „Prometheus“. Es hat mich in meiner Jugend geprägt. Da spricht er die Worte „Gott“ und „Götter“ aus, als ob es sie gäbe. Allerdings meint er es, glaube ich, ironisch. Natürlich kann und muss man abstrakte Begriffe erzeugen. Sie sollten aber abstrakt bleiben und nicht zu Lebewesen werden.
Das alles erinnert mich an unseren Vorsatz, ein Podiums-Streitgespräch zu führen: „Gibt es Gott?“ Das gute, böse Streitgespräch, das so alt ist, wie die Menschen denken können. Vielleicht, wenn Du Lust hast, könnten wir uns mal zusammensetzen und es planen. Auszüge aus „Dawkins – Der Gotteswahn“ und „Salomon – Manifest des evolutionären Humanismus“ habe ich ausgedruckt und will sie dir geben. Sie formulieren die Grundlagen meiner Auffassungen.
Wolfgang Rill, ich zweifle nicht, dass es „Gott“ gibt, aber den muss man nicht in den Kirchen und bei den Religionen suchen, sondern bei sich selbst. Und viele Menschen müssen ihn gar nicht suchen, den der Geist Gottes ist für sie immer present. Ich wage zu behaupten, dass es, nicht zu ratsam ist, Gott kramphaft und verbissen zu suchen oder zu beweisen. Denn Gott zu kennen und zu verstehen ist im wahrsten Sinn des Wortes eine Gnade auch wenn es etwas schwulstig tönt. Und wer Gott zu seinen besten Freunden zählt, weiss, dass Gott keinen Unterschied macht zwischen denen die ihn kennen oder den Anderen. Ich habe viele Freunde die ähnlich denken wie Du und das stört weder mich noch „meinen“ Gott. Da Gott für viele Menschen der letzte „Rettungsring“ bei vielen Angelegenheiten in Ihrem Leben ist, spielt er eben auch eine sehr wichtige Rolle in Ihrem Leben. Diese, meine Gedanken haben nicht die Absicht irgend jemand zu beeinflussen oder zu bekehren, denn es gibt auch sehr gute Gründe nicht an einen Gott zu glauben. Ich habe mich für die andere Variante entschieden, und das ist gut so.