Bin ich jetzt alt?

Am 3. Juni wurde ich fünfundsiebzig Jahre alt. Unsere Tochter mit Familie aus Singapur war da. Weil das Wetter zum Grillen am Pilsensee zu schlecht war, feierten wir in der weltgrößten Therme in Erding zur großen Freude unserer beiden Enkelinnen. Ich erhielt auch wieder viele digitale und auch analoge (vom Postboten eingeworfene) Geburtstagspost. Soweit so gut. Doch vier Briefe haben mich nachdenklich gemacht. Der erste kam von unserer Heilig-Geist-Kirche in Moosach. Ich freute mich über den Zuspruch aus der Noah-Geschichte zum Regenborgen: Gottes Bogen als Zeichen des Bundes zwischen Gott und der Schöpfung. Ich dachte an die vielen Geburtstagsbriefe, die ich als Gemeindepfarrer an die fünfundsiebzigjährigen Gemeindemitglieder geschrieben habe. Jetzt bin ich also auch so alt, dass man mir schreibt.

Sehr gefreut habe ich mich über den Brief des Münchner Oberbürgermeisters Dieter Reiter zu meinem Geburtstag. Gewundert habe ich mich über den Geburtstagsbrief meines hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Dr. Volker Jung und bin sehr dankbar über seine anerkennenden Worte über mich als Pfarrer unserer Landeskirche.

Doch sehr gestaunt habe ich über den Brief des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder zu meinem Fünfundsiebzigsten. So einen Brief hätte ich allenfalls zum Achtzigsten oder Neunzigsten erwartet. Bin ich jetzt so alt, dass der Ministerpräsident mir gratuliert? dachte ich erschrocken. Man ist doch nur so alt wie man sich fühlt. Mit diesem Spruch wollte ich mich beruhigen. Und trotzdem. Ich erinnere mich an das Gemeindemitglied in Löhnberg, das ich zum siebzigsten Geburtstag zum ersten Mal besuchte. Da war er noch sehr fit und frisch mit seinen lockigen Haaren. Nach drei Jahren begegnete ich ihm wieder bei einer anderen Geburtstagsfreier. Da erschien er merklich hinfälliger. Und wie ist das bei mir? So frisch wie vor fünf Jahren bin ich auch nicht mehr. Der Bandscheibenvorfall letztes Jahr nagt immer noch an meinem lahmen Fußheber.

Ich lese die Sätze des Ministerpräsident genauer. Er lobt Bayern als „großartiges Land mit bester Lebensqualität“. Und er schrieb, dass er sich dafür einsetzen würde, dass es so bleibt. Ja, Bayern ist auch für mich ein wunderbares Land. Doch ist das nicht auch Wahlwerbung, eine Woche vor der Europawahl?

Ich schiebe alle meine Bedenken beiseite. Ich freue mich über die Briefe der Gemeinde, des Oberbürgermeisters, des Kirchenpräsidenten und des Ministerpräsidenten. Denn für mich sind ihre Glückwünsche nicht ein Zeichen dafür, dass ich jetzt alt bin. Für mich sind ihre Briefe ein Zeichen, dass diese Männer in hoher Verantwortung mich als Menschen, als Bürger und als Pfarrer würdigen. Das tut mir gut.

3 Kommentare

  1. Ich provoziere vielleicht (wieder) mal:
    Ist „Altsein“ was Schlimmes, etwas Unanständiges? Oder eher wie in einem Buchtitel: „Altwerden ist nichts für Feiglinge“ (Joachim Fuchsberger, Schauspieler)
    Na klar, ich bin auch mit 71 Jahren alt, und das ist gut so. Und ich bin dankbar für all das, was ich im Laufe meines Lebens erfahren durfte. Das ist ein besonderer Schatz. Wärst Du nicht in einem bestimmten Alter, hättest Du keine Enkelkinder, nicht haufenweise Erfahrung mit Pfarrstellen verschiedenster Art usw…. Vielleicht können wir uns mit dem Wort „alt“ auch anfreunden und dessen Vorzüge wahrnehmen und genießen. Wie schön, Wolfgang, dass Du so alt bist und dem Leben gegenüber offenstehst!

  2. Lieber Wolfgang,
    danke dass du mit deiner Frau soviel gutes in Pattaya bewirkt hast. Da habe ich nie nachgedacht, dass das Alter eine Rolle spielt. Also bleibe noch lange jung und gesund. Lieber Gruss Willi

  3. Hallo Wolfgang,
    auch von mir einen Glückwunsch. Pim lässt ebenfalls grüßen. Machen wir uns nicht so viele Gedanken über unser Alter – machen wir einfach weiter!

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