Sonntagmorgen. Osternacht in der Olympiakirche in München. Seit Jahren der Pause wieder dieses einmalige Erlebnis. Heute nicht aktiv als Pastor, sondern als einfacher Besucher im dunklen ökumenischen Kirchenzentrum des olympischen Dorfes von 1972. Der fahle gelbe Schein der Straßenlaternen durch die Oberlichter erleuchtet den Kirchenraum schwach.
„Bleibet hier und wachet mit mir, wachet und betet!“ Der Lied-Ruf Jesu aus dem Garten Gethsemane erklingt von der jungen Kantorin. Wir stimmen ein, immer und immer wieder durchbricht dieser Ruf die Stille. Da – der lange Zug der Mitwirkenden tritt ein mit der brennenden Osterkerze: „Christus, Licht der Welt!“ ruft der ergraute Pfarrer und unsere vertraute Antwort folgt: „Dank sei Gott dem Herrn!“
Raphaela, die Kantorin erhebt sich und singt das Exsultet – das Osterlob der Mönche und Nonnen seit vielen Jahrhunderten, bis heute eingegangen in unsere Osternachtliturgie: „Frohlocket ihr Chöre der Engel …“ Der Hymnus entfaltet eine gesungene Predigt angesichts der brennenden Osterkerze über das heilsame Wirken Gottes in Jesus Christus. Er ist das Licht der Welt und seine Auferstehung wird in Beziehung gesetzt mit Geschichten aus dem Alten Testament, die vom göttlichen Heilsplan erzählen. Den lateinisch gesungenen Text verstehe ich kaum. Doch ihre helle konzentrierte Stimme lässt mein Herz das besungene heilsame Geschehen erspüren.
Das Licht der Osterkerze vervielfältigt sich, indem, ausgehend von der Osterkerze, nach und nach unsere eigenen Kerzen entzündet werden. Die Schöpfungsgeschichte, Wasser- und Taufgeschichten aus der Bibel folgen getreu der alten Liturgie. Das Nizänische Glaubensbekenntnis und das Lied „Ich möchte, dass einer mit mir geht“ wurden in der Tauferinnerung zu unserem erneuten Bekenntnis zum dreieinigen Gott und zu unserem Wunsch, dass Jesus Christus auch weiterhin uns auf unserem Lebensweg begleite.
Dann geschieht Ostern
Nach der Lesung aus dem 2. Korintherbrief setzt zum ersten Mal die Orgel ein mit einem brausenden „Christ ist erstanden von der Marter alle“. Die vieltönigen Register in fortissimo nach den zarten verhaltenen a capella-Gesängen in der spärlich mit Kerzen erleuchteten Kirche, der erlösende Gesang zur Orgel aus vielen Kehlen: „Christ ist erstanden von der Marter alle, des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein …“ Dieses Brausen, dieser Klang der alten, mir aus vielen Gottesdiensten vertrauten Verse, überwältigt mich. Mir versagt die Stimme, Tränen rinnen über mein Gesicht. Nach langen Jahren Osternacht-Abstinenz erlebe ich unmittelbar die Wucht, das Unvorstellbare, das Wunder der Auferstehung unseres gemarterten und gekreuzigten Herrn. Die Kerzen verströmen weiterhin ihren matten Schein. Doch mir ist, als strahle ein gleißender Schein um mich und in mir auf. Die Trauer, meine Trauer über alles, was im vergangenen Jahr schiefgelaufen ist, das drückt nicht mehr auf meine Seele.
Nach dem Osterevangelium des Matthäus und dem Lied „Gelobt sei Gott im höchsten Thron“ sehe ich durch die Ostfenster das scheue Licht der aufgehenden Sonne aufleuchten, die sich zur rechten Zeit durch die Wolkendecke gekämpft hatte. Ja, Jesus Christus, Gottes Sohn, hat wahrlich genug für uns getan. Darauf singen wir ein kräftiges Halleluja.
Über alles Lesen und Predigen, über alle Worte der Osterliturgie hinaus ist es die Macht der Musik: Sie weckt unsere Gefühle, sie unterstreicht mächtig das Gesagte, bringt unsere Herzen zum Klingen und Schwingen. Sie erschüttert und bewegt uns zu neuen Schritten ins Leben.
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