Exodus der Deutschen aus Indien

Eingesetzt als Seelsorger bei der Rückholaktion der Deutschen Botschaft Delhi.

26.03.2020. In einer beispiellosen Rückholaktion der deutschen Botschaft in Delhi wurden gestern und heute ca. 1.000 gestrandete Touristen mit jeweils einer A380 der Lufthansa zurück nach Frankfurt / Main geflogen. Ich wurde gebeten, als Seelsorger die überwiegend jungen Menschen zu betreuen, die den Tag über im weitläufigen Garten der Residenz des Botschafters ausharren mussten, bis sie abends in Bussen zum Indira Gandhi International Airport gefahren wurden.

Die blaue Halle der Botschaft war zu einer Einsatzzentrale umgebaut worden. Anfragen wurden telefonisch vom improvisierten Callcenter entgegengenommen, registrierte Gäste informiert. Andere koordinierten den Bustransport vom Marriott Hotel zum Hyatt und von dort zur Botschaft. Draußen organisierte die Einsatztruppe des Militärattachés die Zulassung in die Residenz, den Sicherheits- und den Gesundheits-Check. Im Foyer der Residenz dann grüppchenweise immer auf Distanz die Registrierung und Zuteilung der Busnummer. Im Garten angekommen werden sie freundlich begrüßt: „Im Garten können Sie sich lagern, da drüben geht es zu den Toiletten, hier vorne bekommen Sie einen Snack und wenn die Wasserflasche leer ist, können Sie sie um die Ecke nachfüllen.“

Mein Job war, Hilfe anzubieten und im Gespräch mit den erschöpften und verunsicherten Reisenden gute Laune zu verbreiten. „Komme ich auch wirklich mit?“ „Was meint denn der Aufenthaltstitel im ‚Formular?“ „Darf ich das Hotel anrufen? Ich habe da was liegen lassen.“ „Mein Gepäck ist noch im Hotel. Wie bekomme ich es?“ „Schauen Sie mal. Meine Sohle hat sich halb vom Schuh gelöst.“ fragte ein Mädchen. „Kann meine Mama aus dem Koffer mir andere Schuhe holen?“ All diese Problemchen ließen sich dank meiner Hilfe lösen. Auch das mit der losen Sohle. Die wurde vom Arzthelfer wieder verklebt und verbunden. Mit Tapperband. Auch die Wartenden selbst entwickelten viel Kreativität, m sich die Zeit zu vertreiben. An beiden Tagen bot einer der Wartenden zur Entspannung eine Yogastunde an.

„Ach Sie kommen aus Metzingen? Die Stadt kenne ich. In Reutlingen bin ich aufgewachsen. Und im Boss-Outlet habe ich schon eingekauft, als es nur ein Lager der Bekleidungsfirma war.“ Ich habe auch manches theologische Gespräch geführt mit Ashram-Besucherinnen, mit Althippies und zwei deutschen Bagwhan-Mönchen aus Berlin. Eine illustre Runde von Touristen hatte sich da an den zwei Tagen im Residenzgarten eingestellt: Gruppen junger Frauen, die einen mit wallenden bunten Hosen, die anderen mit knallengen Pants, biedere Ehepaare, die ihren Bildungsurlaub abbrechen mussten, eine Wandergruppe, die sich mit Müh und Not per Auto und Lastwagen durch die Polizeikontrollen aus dem Wüstenstaat Rajasthan nach Delhi geschleppt hat, ältere Herrschaften, die endlich mal das Taj Mahal bestaunen wollten und nicht zuletzt ein Praktikant der Konrad Adenauer Stiftung, der vor dem Problem stand: Fliegen nach Deutschland, aber dort als armer Student ohne Wohnung auf der Straße sitzen oder hier bleiben bei Freundin und Wohnung. Nach vielen Gesprächen, nach Hin und Her kam dann per Telefon die Erleuchtung: Ein Freund stellte ihm seine Wohnung in Hamburg zur Verfügung. Also fliegen.

Es waren zwei sehr anstrengende Tage. Doch all die Mühe in dieser noch nie da gewesenen Krise hat sich gelohnt. Die Rückkehrer lobten den reibungslosen Ablauf. Heute kam per Telefon von Marion der erlösende Satz: „Wolfgang, ich bin jetzt glücklich zu Hause in Essen angekommen. Vielen Dank für Euren tollen Einsatz!“

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