Vom Guten aus dem Bösesten

Es wird immer enger. Zur Ausgangssperre in Delhi und in 75 anderen Distrikten bis 31. März und dem Stopp des gesamten Eisenbahn Nah- und Fernverkehrs werden ab Mitternacht bis 31. März auch die Binnenflüge eingestellt. Ob diese Abschottung reicht ist noch offen. Die offiziellen Zahlen sind noch moderat: 491 Fälle, 9 Tote und 36 Genesene. 
Wir leben jetzt zurückgezogen in unserer geräumigen Gemeindewohnung. Langweilig ist es uns nicht. Wir pflegen inzwischen eine rege digitale Kommunikation mit Kolleg/innen, Gemeinde, Freunden, Verwandten und vielen anderen Kontakten. Dieser Erfahrungsaustausch tut uns gut. Denn bei allen Einschränkungen entdecken wir, welche Chancen sich plötzlich bieten und wie die Kreativität aller Orten aufblüht. Den eher witzigen oder aberwitzigen Corona-Posts der letzten Monate folgen nun Posts, die einen trösten und aufbauen.

Disziplin und Kreativität in der Krise

Unsere große deutschsprachige Gemeinschaft in Indien verhält sich sehr diszipliniert. Aus der WhatsApp-Gruppe des Pune Stammtisches ist ein kompetentes Informations- und Beratungsforum geworden. Die Deutsche Botschaft hat für die ca. 5.000 Touristen in Indien ein Ausreiseprogramm entwickelt. Die Notfallzentrale ist rund um die Uhr aktiv.
Wenn wir jetzt auf dem Balkon stehen, dann strömt uns der Duft von Blumen aus dem Park gegenüber entgegen. Die Luftwerte PM 10 und PM 2,5 liegen inzwischen deutlich unter 100 im moderaten oder gesunden Bereich. Das wird kein Dauerzustand bleiben, denn wir müssen uns klar darüber sein, wie hoch die finanziellen Opfer für die vielen Taxi- und Rikscha Fahrer und die Hunderttausende kleinen Händler sind, die jetzt nichts verdienen, ganz abgesehen von den großen Firmen.
Kreativität ist angesagt, um in dieser für uns Nachkriegsgeborenen noch nie da gewesenen Krise zu überleben. Ich möchte das Hamstern mal positiv sehen. Es entspricht einem Urinstinkt des Überlebens, der tief im Menschen seit tausenden von Generationen verankert ist. Nur eine von vielen Kompetenzen, die dann wieder aufleben, wenn es um das nackte Überleben geht. Nebenbei: Uns geht es ja noch ganz komfortabel in der Krise
Wir Geistlichen entwickeln eine ganze Menge von Angeboten, die die Distanz überwinden, die wir wahren müssen dank der digitalen Möglichkeiten. Ich hätte nicht gedacht, als Siebzigjähriger eine Online-Andacht zu produzieren, die sogar ganz gut ankam. An ca. 400 Adressen verschickt bis jetzt knapp 90, die reingeschaut haben. Viele gute und dankbare Rückmeldungen habe ich eerhalten. So habe ich einen spirituellen und tröstlichen Impuls für unsere weit gestreute Gemeinde in Südasien weitergeben können. Und ich habe Lust bekommen weiterzumachen.
Aus Deutschland höre ich viele gute Ideen. Beeindruckt hat mich das Video aus dem Frankfurter Nordend mit einem Saxofonisten, der vom Balkon den Leuten „Over the Rainbow“ gespielt hat. Jeden Abend nach dem 18 Uhr Läuten wird von den Balkonen gesungen. Ebenso erstaunlich: Die noch vor kurzem so gescholtenen Fußballfans der Münchner „Schickeria“ helfen jetzt alten Menschen beim Einkaufen und bei sonstigen Besorgungen, damit diese zurückgezogen und sicher, aber nicht einsam sind.

Der Leipziger Pfarrer Christian Wolff erzählt in seinem Blog „Vom Keim des Guten in schwierigen Zeiten“ und bezieht sich auf einen Satz von Dietrich Bonhoeffer: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.“ Und setzt später auch den zweiten Satz hinzu: „Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.“
Recht hat er.

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