Was soll das mit den Hirten?

Der Evangelist Lukas erzählt in seiner Weihnachtsgeschichte von Hirten. Sie waren die ersten, die die Weihnachtsbotschaft erfuhren: Große Freude für alle verkündigte ihnen der Engel. Christus, der vom unterdrückten Volk Israel sehnlichst erhoffte Retter, sei geboren. Dort, wo mit dem großen König David der Glanz und Ruhm Israels seinen Anfang genommen hatte: in Bethlehem, der Geburtsstadt Davids. Ein Wickelkind, das in einer Futterkrippe im Stall liegt. Ein jubelnder Engelchor unterstrich diese frohe Botschaft: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden

Wie reagieren die Hirten? Lukas erzählt eine Kurzform, sozusagen das Endergebnis ihrer Diskussion: Die Hirten machen sich zum Stall auf. Doch wie ich die Menschen kenne, geht das nicht so schnell.
„Mensch Leute, hab ich wieder zu viel gesoffen? Das gibt’s doch nicht. Engel, Retter, ha, ein schöner Schein im Delirium. Nee, nee, jetzt bin ich wieder nüchtern. Jetzt ist Nacht wie unsere Zukunft. Alles bleibt beim alten, die Schufterei, der Hungerlohn, das brutale Römerpack.“
„Hey, war das geil, so eine richtige Himmelsshow vom feinsten. Da kommt bei dem kleinen Königsstar sicher noch mehr. Ich muss da hin!“
„Täusch dich mal nicht. Der Engel hat gesagt, dieses Königskind liegt in einem Futtertrog. Also, wenn du hin willst, dann such einen Stall und keine Disco.“
„Na, und? Gehst du mit?“
„Dem Simon gebe ich recht. Das klingt alles so unwirklich. Aber wisst ihr, bei all dem Mist, bei all meinem Kummer, bei meinen Sorgen, wie ich meine Familie ernähren soll – hat dieser Engel nicht einen Funken neuer Hoffnung in uns gesät? Jedenfalls, bei mir glüht wieder etwas in meinem Inneren. Anscheinend hat Gott uns nicht ganz vergessen. Hat er unser Volk in der größten Not nicht immer wieder aufgerichtet? Also, ich geh mit.“
„Jehuda, ich glaub trotzdem nicht mehr dran. Ich meine, Gott hat uns vergessen. Aber immerhin bist du der Älteste von uns. Vielleicht hast du recht. Auf dein Wort gehe ich mit.“

So sind schließlich doch alle Drei gegangen: Simon, Jehuda und auch der Partyhengst Daniel. Ob es nur drei waren oder mehr. Lukas lässt das offen. Ich habe mich auf drei beschränkt. Die Weisen aus dem Osten waren auch nicht mehr.

Was soll diese Geschichte heute? Hirten sind bei uns inzwischen eine unwesentliche Randerscheinung oder kommen in romantischen Texten vor. Stichwort Schäferstündchen. Randständige waren die Hirten damals. Heute vielleicht vergleichbar mit der Gruppe der Bürgergeldempfänger. Diese Gruppe ist gesellschaftlich umstritten. Die Rechten schreien, dass diese zu viel Geld bekommen. Und wenn es Migranten erhalten, dann würden es die Falschen kriegen. Der Sender RTL verdient sein Geld, indem er Frauen und Männer, die Bürgergeld erhalten, prostituiert: Die einen kommen mit ihrem Geld nicht zurecht, weil sie nicht haushalten können. Eine Frau hat keine Lust mehr, ihre Schulden zu bezahlen. Arbeiten? Sie doch nicht. Am besten kommt im Internet noch eine ukrainische Familie weg. Sie sagt: Was soll die ganze Aufregung? Wir kommen ganz gut mit dem Bürgergeld über die Runden. Die SPD versucht verzweifelt, mit der Erhöhung des Bürgergeldes mehr Gerechtigkeit walten zu lassen. Die Verbände schreien: Zu wenig. Die Rechten schreien: Zuviel!

Mir fehlt eine Perspektive in der ganzen Diskussion. Gibt es denn kein gemeinsames Ziel, um der Gruppe der Ärmsten unter Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten unseres Staates eine realistische Lebensgrundlage zu geben?

Mir fehlt eine realistische Betrachtung: Was geschieht mit dem Bürgergeld wirklich? Welche Gruppen erhalten es? Wer kann von diesen Gruppen überhaupt einer Arbeit nachgehen? Die F.A.Z. hat in einem Artikel vom 7.12.2023 auf Hessen bezogen sich die Gruppen und die Perspektiven angeschaut. Von 415.000 Bürgergeldbeziehern in Hessen bleiben nur 29.000 Empfänger übrig, „die im passenden Alter, erwerbsfähig, ausreichend gebildet und derzeit untätig sind, aber dennoch Grundsicherung beziehen.“ Das sind sieben Prozent. Allen anderen, vor allem den Kindern (29,4 %), ihren alleinerziehenden Elternteilen und denen, die eine Angehörige pflegen (5,4 %), wäre eine Kürzung des Bürgergelds eine würdelose Maßnahme.

Was wäre denn ein passendes Weihnachtsgeschenk für die oft gescholtenen Empfängerinnen und Empfänger der Grundsicherung? Noch mehr Geld? Ich glaube, etwas anderes wäre wichtiger. Dafür sorgen, dass diese Menschen in der öffentlichen Wahrnehmung ihre Würde behalten. Anerkennung denjenigen, die sich in der Schule und in Kursen abmühen, eine bessere berufliche Startposition zu bekommen. Ein Lob den Müttern und Vätern, die sich um ihre Kinder kümmern oder ihren alten Vater oder demente Mutter pflegen. Öffentliche Aufmerksamkeit den 120.000 Kindern und Jugendlichen, dass sie auch durch uns an Sport und Spiel, an Kino und Konzertveranstaltungen teilnehmen können.

Wäre das nicht ein gelungenes Weihnachtsgeschenk? Ich glaube, dies wäre auch ganz im Sinne der göttlichen Botschaft: Große Freude, die allem Volke teil wird. Jedenfalls ist das der Sinn, dass uns Gott dieses kleine Erdenkind Jesus im Stall präsentiert. Es ist Zeichen, der Hoffnung, Zeichen dass immer wieder unter uns Neues beginnen kann. Matthäus nennt es später das „Reich Gottes“. Jesus ist für mich das Zeichen, dass unsere zerrissene Gesellschaft mit kaum noch einer gemeinsamen Perspektive nicht vor die Hunde gehen wird. Gott fängt klein an, bei uns, unermüdlich, jedes Jahr neu am 24. Dezember und ist in diesem kleinen Jesus Christus zu finden.

Gesegnete Weihnachten, ihr Lieben!

2 Kommentare

  1. Danke für den interessanten Artikel. Ist einiger Stoff zum Nachdenken. Auch der am Anfang erwähnte Satz, dass das unterdrückte Volk Israel den heiß ersehnten Retter erwartet. Gibt zu denken. Der Retter war da aber das Volk Israel ist immer noch unterdrückt, was zur Zeit wieder ganz deutlich festzustellen ist. Meine spontane Antwort darauf ist, der Retter rettet nur die, die sich retten lassen wollen. Das gilt nicht nur für das Volk Israel sondern für alle Menschen.
    Hoffen und beten wir, dass sich wieder mehr Menschen retten lassen wollen.
    Lieber Wolfgang, Dir und Deiner Familie ein gesegnetes Weihnachtsfest. Alles Gute und vor allem Gesundheit. Herzliche Grüsse von meiner Lieblingsinsel Teneriffa. Rudi und Jetti

  2. Es sind nicht nur die Rechten, die dich über weniger Begüterte das Maul zerreißen, sondern auch die Satten in unserem herunter gekommenen reichen Land

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